Ikonografie: Diverse Figuren
Neben den biblischen Gestalten, Heiligen und Ordensangehörigen findet man in der Kartause Ittingen kaum Darstellungen von Menschen, die nicht aus der religiösen Sphäre stammen. Wenn in der Klosterkirche weltliche Personen wiedergegeben sind, dann sind sie – ausser Graf Roger, der auf Bruno trifft – nur in anonymen Nebenrollen an erzählenden Szenen beteiligt.
In einer «Zwischenwelt» angesiedelt sind die sogenannten Wildleute des Mittelalters: Man stellte sich vor, dass im Wald fast vollständig behaarte oder mit Blättern bekleidete menschliche Wesen lebten, die ein verborgenes Leben im Einklang mit der Natur führten, aber auch wild und unbändig waren.
Eine weitere Gruppe von Menschen bilden die Figuren, die in Zusammenhang mit den antiken Weltwundern stehen. Ihre Abbildungen auf dem Ofen des Refektoriums sind die einzige Anspielung auf die Antike in Ittingen.
Wildleute
Illustrationen im Ittinger Antiphonar, 1493
Drei Wildleute erscheinen in Randbordüren des Ittinger Antiphonars. Auf der Seite, auf der die Himmelfahrt Christi dargestellt ist, kämpft ein Wilder Mann mit einem Bären.257 Auf dem Blatt, das die Eucharistie258 wiedergibt, turnt am rechten Rand ein weiterer Wilder Mann in den Ranken herum, und am unteren Rand kämpft einer gegen einen Drachen. Sie können allgemein als unerlöste Kreaturen gesehen werden, aber etwa auch den Kampf gegen das Böse repräsentieren. Vielleicht sind die Tiere und die Wilden Leute in den Bordüren auch einfach nur als unterhaltendes Beiwerk gemeint.
Repräsentanten der Weltwunder
Ofenmalerei, 1677/1988
Es mutet merkwürdig an, dass am Ofen im Refektorium Figuren erscheinen, die den sieben antiken Weltwundern zuzuordnen sind. Der Winterthurer Ofenmaler Heinrich Pfau brachte die Darstellungen 1677 auf den Lisenen des Turms an; zwei gehören zu den Ergänzungen des Ofens, die im Jahr 1988 vorgenommen wurden.
Als Vorlage konnte der Ofenmaler eine um 1640 entstandene Serie von Kupferstichen nach Claude Vignon (1593–1670)259 benutzen. Die Serie war in Winterthur bekannt und bereits 1655 von Hans Heinrich Pfau verwendet worden.260
Die Kartause als Weltwunder
Zum Verständnis der ungewöhnlichen Themenwahl kann die Chronik von Johannes Modelius weiterhelfen. Er zog grundsätzlich gern Vergleiche zu antiken Figuren. In der letzten Elegie des dritten Buches erzählt er von den Verdiensten Johann Ludwig Pfyffers, des Stiefbruders von Procurator Heinrich Murer, der die Kartause grosszügig unterstützte.262 Im Zusammenhang mit dem von Pfyffer finanzierten Bau von sechs Zellen sagt Modelius, Klöster seien wertvoller als alles. Aus dem Lateinischen übersetzt heisst es ungefähr:
«Der Pyramiden sämtliche Wunder erliegen den Zellen
der eitle Ruhm einer gänzlich nichtigen Sache
In den Zellen steigt die Seele höher als Memphis’
Pyramiden, höher sogar als ein Himmel voll Sterne.»
Auf der Ofenkachel findet sich eine Pyramide zu Füssen des Pharaos. Auch im übernächsten Distichon nimmt Modelius Bezug auf ein antikes Weltwunder, indem er sagt, die hehre Pracht eines Mausoleums könne einer Kartause nicht gleichkommen. Dem entspricht die Kachel mit Artemisia. Es folgt zuletzt ein Verweis auf den Leuchtturm von Pharos, dessen Erbauer Ptolemäus auf der Kachel gezeigt wird. Die unvollständige Aufzählung der Weltwunder bei Modelius gipfelt im Lob:
«Doch unser Leuchtturm zeigt die Himmel,
den Hafen des Heiles,
er führt mit dem Zeichen der heiligen Wärme die Herzen.
Pfyffer besiegt der Welt barbarische Wunder,
ein erhabenes Werk von unvergänglicher Würde erbaut’ er.»
Mit der Bilderserie des Ofens nimmt es die Kartause selbstbewusst mit den Weltwundern der Antike auf. Ähnliche Beispiele finden sich auch in anderen Klöstern, so etwa auf dem sogenannten Wunderbrunnen von 1669 des Augustinerstifts Neustift bei Brixen in Südtirol, dessen Überdachung mit den sieben Weltwundern und dem Kloster Neustift bemalt ist.263
257 Antiphonar, Fol. 24r.
258 Antiphonar, Fol. 41r.
259 Vignon, Weltwunder.
260 Wyss, Winterthurer Ofen 1682, S. 34, 42.
262 Modelius, De casibus, S. 296ff., insbesondere S. 300/301.
263 Den freundlichen Hinweis verdanke ich Herrn Dr. Helmut Stampfer, Bozen.
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