Ikonografie: Ittinger Ansichten
Alle hier ausgebreiteten Bildwerke, denen die Ittinger Kartäuser begegnen konnten, spiegeln in gewissem Sinne ihre Spiritualität, ihre Frömmigkeit, ihren Geist. Ansichten der Klosteranlage hingegen zeigen eine Aussensicht, die Kulisse für das Leben der Mönche.
Ansichten – oder Veduten – von Gebäuden können geschichtliche Entwicklungen darlegen, indem sie deutlich machen, wie sich die Bauten im Lauf der Zeit veränderten. Eine solche Geschichte können sie aber nur erzählen, wenn die Ansichten verschiedener Zeiten bewusst nebeneinander gestellt werden. In der Kartause Ittingen geben die drei Geschichtsminiaturen aus den Elegienbüchern von Johannes Modelius eine derartige Abfolge wieder. Dabei geht es aber weniger um die Bauten als um die historischen Abläufe, weshalb die Bilder, mit Ausnahme der Szene der Klosterübernahme durch die Kartäuser, im Kapitel zur Geschichte Ittingens betrachtet werden.
Architektur als Spiegel der Lebensweise ihrer Bewohner
Auf den folgenden Ansichten präsentiert sich entweder die ganze Anlage der Kartause oder nur ihre zentralen Teile. Anhand der Darstellungen wird besonders klar, wie die Architektur das Leben ihrer Bewohner spiegelt.
Das Areal der Kartause Ittingen ist von einer Mauer umfasst. Sie schliesst das Kloster gegen aussen ab, hält physisch und symbolisch den Betrieb der Welt von den Mönchen fern.
Doch auch die zurückgezogenen Kartäuser benötigten ihren Lebensunterhalt in Form von Naturalien und Finanzen. Der Bereich des Erwerbs, der Wirtschaftshof, liegt in Ittingen im Westen. Hier wurde Landwirtschaft betrieben, jedoch nie von den Mönchen, kaum von den Brüdern, sondern von weltlichen Knechten. Hier finden sich Scheunen und Ställe, Trotten, Mühle und Werkstätten. Was auf den Bildern nicht darzustellen war, sind die herrschaftlichen Funktionen der niederen Gerichtsbarkeit, welche die Kartäuser mithilfe von Beamten ausübten und die wesentlich zum Einkommen beitrugen.
Stiller war es in den Zonen der Gemeinschaft. Zentrum der Anlage war, wie bei allen Klöstern, das wichtigste Gebäude, die Kirche. Da sie bei den Kartäusern einzig den Klosterangehörigen diente, wird sie nur von einem Dachreiter bekrönt, nicht von einem mächtigen Turm. An die Kirche schliesst der kleine Kreuzgang mit weiteren Gemeinschaftsräumen an. In diesen Räumen war Sprechen bei bestimmten Gelegenheiten erlaubt und sinnvoll. Hier finden sich etwa der Kapitelsaal, in dem gemeinsame Entscheide gefällt wurden, oder das Refektorium, in dem die Mönche an Sonn- und Feiertagen gemeinsam die Mahlzeiten einnahmen. Werktags ass jeder für sich in seiner Zelle.
Gegen Osten erstrecken sich in Ittingen die Räume der Einsamkeit, wo die Kartäuser den grössten Teil ihres Lebens schweigend als Einsiedler verbrachten. Jeder der Zellenmönche lebte allein in einem kleinen Häuschen, von den Kartäusern Zelle genannt. In Ittingen umfassen diese Zellen drei ebenerdige Räume (Werkstatt, Wohnraum, Andachtsraum), einen Dachboden, einen heute nicht mehr vorhandenen gedeckten Wandelgang mit Latrine am Ende und ein Gärtchen. Gegen aussen und zur Nachbarzelle war jede Einsiedelei durch eine Mauer abgeschlossen; diese wurden in Ittingen entfernt. 14 solcher Mönchszellen reihten sich um die drei Flügel des grossen Kreuzgangs. Durch den grossen Kreuzgang konnten die Mönche bei jedem Wetter trockenen Fusses zur Kirche gelangen. Der grosse Kreuzgang umschliesst den grossen Kreuzgarten, der im Sommer zu bestimmten Zeiten der Erholung diente.
Während bei den meisten anderen Kartausen die Begräbnisstätte der Mönche im grossen Kreuzgarten lag, befand sich der Friedhof («Kirchhööfli»)52 in Ittingen im kleinen Kreuzgarten. Der Grund für diese Abweichung mag darin liegen, dass vielleicht schon die Augustinerchorherren, die das Kloster vor den Kartäusern bewohnt hatten, hier ihre Begräbnisstätte hatten und der Ort dadurch bereits «geheiligt» war, sodass die Kartäuser die Tradition weiterführten.
Ansichten als Momentaufnahmen
Zwar hat man die Klosteranlage immer wieder in verschiedenen baulichen Zuständen abgebildet.53 Die Kartäuser dürften kaum versucht haben, aus den Bildern die Bauentwicklung herauszulesen. Freilich ist es nicht so, dass sie historische oder bauliche Prozesse gar nicht interessiert hätten. Jedenfalls verzeichneten die «Haushistoriker» Heinrich Murer und Johannes Modelius und später Procurator Josephus Wech in ihren Werken bisweilen, was an Bauten errichtet oder verändert worden war. Freude an schöner und repräsentativer Architektur war also auch den weltabgewandten Mönchen durchaus nicht fremd. So finden sich Ansichten der ganzen Anlage immer wieder auch im Kloster.
Je nach Umfeld der jeweiligen Ansicht, ob sie etwa das eigentliche Bildthema ist oder nur als Hintergrund dient, je nach Künstler und Entstehungszeit kann die Genauigkeit schwanken. An die Realitätstreue dürfen nicht immer allzu hohe Ansprüche gestellt werden.
Zudem setzen die Ansichten erst im 17. Jahrhundert ein, sodass sie uns die frühen Entwicklungen nicht mitverfolgen lassen. Wir wissen also nicht, wie die Burg und das Augustinerkloster ausgesehen haben, welche Teile der ersten Bauten der Kartause im Ittinger Sturm ganz oder nur teilweise zerstört wurden. Doch ist anzunehmen, dass die Grundmauern in der Regel dieselben blieben und sich die Anlage vor allem in Details verändert hat. Bei genauer Betrachtung der Veduten lassen sich zahlreiche Änderungen und auch immer wieder Neubauten entdecken.
Von Ansichten aus der Perspektive des Klosters sind jene zu unterscheiden, die auf externe Initiativen zurückgehen und das Kloster als Teil der Heimat oder aus touristischen Gründen abbildeten. So wurden die zwei letzten Ansichten in der folgenden Reihe nicht von Klosterangehörigen und vermutlich auch nicht in deren Auftrag geschaffen. Sie entstanden im 19. Jahrhundert, als sich die Zeit des Klosters bereits dem Ende zuneigte, sodass die Mönche sich mehr und mehr Sorgen um ihre Zukunft machen mussten und kaum ihrem Stolz über die Anlage Ausdruck verleihen wollten. Die Ansichten, die auf Wunsch der Klosterangehörigen gefertigt wurden, zeigen uns, wie sie ihre Lebenswelt sahen und sehen wollten.
52 Wech, Von Aufführ- und Erhaltung, S. 19.
53 Mathis, Veduten.