Ansicht der Kartause Ittingen
Herstellungsjahr: 1640/1642
Technik: Illustration aus der Handschrift Agio Melos
Die bisher betrachteten Ansichten aus dem Klosterband und dem Refektorium sind Hintergrund und gleichsam Attribut der dargestellten Personen, Prior Bruno beziehungsweise Heinrich Eger. Eine Vedute in der Handschrift Agio Melos56 hingegen steht für sich allein und ist somit selbst das Thema. Weil die Schrift der Rückseite stellenweise durch das Papier drückt, ist die Ansicht nicht mehr leicht lesbar. Auch hatte der Kartäuser Mühe mit der Perspektive, was für einen ungeschulten Maler verständlich ist, konnte er sich doch nur in seiner Fantasie in die Lüfte erheben und sich die Vogelperspektive vorstellen. Dennoch lässt sich aufgrund seiner Zeichnung ein recht genaues Bild der Klosteranlage des frühen 17. Jahrhunderts machen, die später wesentlich verändert wurde. Es scheint, dass der Maler, der die Anlage aus eigener Erfahrung kannte, besonderen Wert auf die Details legte.
Wie mit einem Rahmen ist das Areal von der hohen Klostermauer umfasst. Was ausserhalb lag, hat den Zeichner nicht interessiert, denn sein Leben als Kartäuser spielte sich ja – abgesehen vom wöchentlichen Spaziergang – innerhalb dieser Mauer ab. Das linke Drittel der Anlage belegen locker gruppierte Landwirtschaftsbauten. Schon hier lassen sich einige Neuerungen feststellen. So schmiegt sich neben der letzten Zelle des Nordflügels ein kleiner Bau an die äussere Klostermauer, der später als Brennhaus bezeichnet wird und als Schnapsdestillerie diente. Es ist nicht ganz klar, ob das Gebäude auf den bisherigen Ansichten nicht sichtbar ist oder noch nicht vorhanden war. Neben dem recht grossen Küferhaus schliesst rechts des Westtors ein neuer Schweinestall an die Mauer an. Auf der anderen Seite des Küferhauses steht das sorgfältig dargestellte Bienenhaus. Ein weiteres neues Haus ist eine Scheune links des Westtors. Sie ist durch ein grosses Tor zugänglich, daneben führt eine Treppe in den ersten Stock. Der kleine Torggel mit dem Vorbau ist optisch etwas weit nach vorn gerückt, aber auch schon auf dem Bild mit Prior Bruno zu sehen, da er bereits 1561 erbaut wurde. Zu den Wirtschaftsbauten gehört auch der grosse Keller, der nördlich der Kirche auf beiden Seiten angedeutet ist. Links erkennt man den Bauteil mit dem grossen Portal, rechts der Kirche wohl einen kleinen Kellerhals. Eine zinnenbewehrte Mauer leitet über zum grossen Kreuzgang. Im Garten vor dem Knechtehaus sind Rebstöcke zu erkennen. In die umzäunte Pferdeschwemme fliesst durch einen vermutlich hölzernen Kännel Wasser ein. Ein offener Bach verläuft von der Mühle kommend vor oder unter dem Brunnen durch, was wohl heisst, dass er den Brunnen speist und das Wasser von dort in die Pferdeschwemme führt. Deren Abfluss wird vorn durch eine Wehranlage reguliert. Rechts der Pferdeschwemme stehen die Mühle und links davon die Pfisterei, neben der eine Treppe die Geländestufe überwindet. An die Mühle schliesst sich rechts eine Zinnenmauer mit Durchgang an, danach in gleicher Ausrichtung der Pferdestall, der auf den bisherigen Ansichten nicht zu sehen ist, aber vielleicht schon vorhanden war. Zwischen Mühle und Pferdeschwemme strömt Wasser aus der hohen Säule des achtseitigen Laufbrunnens. Vorn wacht das Pförtnerhaus neben dem Südtor und dem Nebentörchen.
Besonders aufschlussreich ist der Bereich der Kirche und der Konventbauten rund um den kleinen Kreuzgarten. Deutlich überragt die Kirche mit dem Dachreiter alle übrigen Gebäude. Sie ragt östlich (rechts) über den Ostflügel des kleinen Kreuzgangs hinaus und weist dort einen Anbau auf, möglicherweise die Sakristei. Als westlicher Abschluss ist ein grosses gotisches Fenster zu erkennen, dazu eine kleine Portalvorhalle mit Pultdach und zwei Fenstern.
An der Südseite der Kirche liegen die vier Flügel des kleinen Kreuzgangs mit den Gemeinschaftsräumen, die ihn umschliessen. Bei genauem Hinsehen entdeckt man auf der Fläche des Innenhofs kleine Kreuze, was die Begräbnisstätte an diesem Ort belegt. Auch in diesem Bild scheint vor der Nordwand des kleinen Kreuzgangs ein grösseres, denkmalartig hervorgehobenes Kreuz zu stehen, ähnlich wie in der Miniatur mit Prior Bruno. Auf späteren Bildern erscheint es nicht mehr. Der mit Türe und mehreren Fenstern versehene Nordflügel des kleinen Kreuzgangs schmiegt sich an die Kirche. Vom Ostflügel erkennt man nur das Dach, der Westflügel hingegen weist in der Mitte einen Quergiebel auf, der allerdings nur in dieser Darstellung erscheint und dessen reale Existenz fraglich ist. Am detailliertesten ist der Südflügel ausgearbeitet. Gegen Westen ist ein grosses Portal über eine zweiläufige Treppe zugänglich. Die Ecke des Priorats oberhalb der Procuratur ist erstmals mit einem Eckerker geschmückt. Gemäss späteren Ansichten ragt dieser Teil, schon 1606 neu gebaut, westlich über die Fassadenlinie des Westflügels hinaus, was auch hier gemeint sein kann, aber für den Zeichner schwierig darzustellen war, wenn er den Westflügel auch zeigen wollte. Die Front des Südflügels ist undeutlich dargestellt, man erkennt aber rechts den Ostrisalit. Durch die Küchentür gelangte man am Fischgehalter vorbei in den kreisförmig eingezäunten Küchengarten, der nördlich von einer bewachsenen Mauer abgeschlossen wird. An die Umfassungsmauer der ersten Zelle angebaut ist eine Konstruktion, die später als Gewölbe zum Kräuterwerk bezeichnet wird. Dabei könnte es sich um den Eingang zu einem unterirdischen Gewölbe gehandelt haben, worin das Gemüse in Sand gelagert und so konserviert wurde. 57 Gleichzeitig umfasste das kleine Gebäude wohl auch eine Treppe, welche die unterschiedlichen Ebenen der Gartenflächen verband.
Im grossen Kreuzgarten plätschert ein Springbrunnen. Beim Gebilde dahinter mit einem kleinen Baum in der Mitte handelt es sich um eine in Züchtung begriffene «zerleite Linde» – ein Baum, dessen untere Äste zu einem grünen Dach geformt waren, darüber folgte ein Stück des unbeasteten Baumstamms und zum Abschluss die gewachsene Gestalt der Baumkrone. Solche «zerleite Linden» mit Baumhäusern waren damals nicht unüblich.58 In der Südostecke der Umfassungsmauer ist – breiter als die Mauerabdeckung – das Dach des Fischgehalters zu entdecken. Zwischen der Umfassungsmauer und der Klostermauer bleibt östlich noch ein freier Raum, der mit wenigen Bäumen bewachsen ist.
Der unbekannte Mönch hat uns 1642 ein wohl recht zuverlässiges Bild seines Lebensraums geschenkt.
56 Agio Melos, S. 65.
57 Sigel, Klostergarten, S. 141.
58 Sigel, Klostergarten, S. 141.