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Die Anfänge des Kartäuserordens

Erstellt von: Urs Graf

Herstellungsjahr: 1510

Technik: Holzschnitt, Urs Graf zugeschrieben

Eine Bildergeschichte zu den Anfängen des Kartäuserlebens zeigt ein Holzschnitt, der wohl von Urs Graf stammt. Er findet sich in einem Buch, das wohl in jeder Kartause vorhanden war: die Ordenssatzungen, die 1510 in Basel unter dem Titel «Statuta Ordinis Cartusiensis» gedruckt wurden.125 Unter dem Titel «ORIGO ORDINIS CARTUSIENSIS» (Ursprung des Kartäuserordens) erzählt der Holzschnitt die für die Kartäuser prägendste Phase im Leben des heiligen Bruno in neun Bildern. Kurze lateinische Sätze erläutern die Szenen.
Mit dem Begräbnis des Chorherrn setzt die Reihe ein und widmet diesem «Ereignis» nicht weniger als drei von neun Bildern. Bei den ersten zwei Szenen sitzt der Tote auf der Bahre und ruft «Justo Dei iudicio accusatus sum» (Vor dem gerechten Gericht Gottes bin ich angeklagt), dann «Justo Dei iudicio iudicatus sum» (Das gerechte Gericht Gottes hat über mich geurteilt). Im dritten Bild wird der Tote ins Grab gesenkt, darüber steht, was er zuvor gerufen hatte: «Justo Dei iudicio condemnatus sum» (Durch das gerechte Gericht Gottes bin ich verdammt).
In der vierten Szene des Holzschnitts begegnet der tief erschütterte Bruno einem Einsiedler. Dieser rät ihm mit einem Psalmwort, die Einsamkeit zu suchen: «Ecce elongavi fugiens et mansi in solitudine. Psal. 54» (Siehe, ich bin weit geflohen und in der Einsamkeit geblieben); gemäss heutiger Zählung ist es Psalm 55. In der folgenden Szene liegt Bischof Hugo von Grenoble träumend im Bett, auf der Tür seines Schlafzimmers, die Bruno bereits geöffnet hat, sind die sieben Sterne verteilt: «Episcopus vidit in somnio Dominum in solitudine sibi habitaculum constituere» (Der Bischof sah im Traum, wie sich Gott in der Einsamkeit eine Wohnung baut). In der sechsten Szene empfängt der Bischof den ihn küssenden Bruno und die sich ehrfürchtig vor ihm niederwerfenden Gefährten. «Bruno et socij eius cadunt ad pedes episcopi petentes sibi dari locum.» (Bruno und seine Gefährten fallen dem Bischof zu Füssen und bitten, ihnen einen Ort zu geben). In der siebten Szene ziehen die Männer, angeleitet vom Bischof, in ihre künftige Einöde: «Episcopus stellis sibi ducatum prebentibus ostendit ipsis locum» (Der Bischof, von den vorangehenden Sternen geführt, zeigt ihnen einen Ort). Der Bau der Anlage, begleitet von den Worten «In loco eis demonstrato edificant» (Am ihnen gezeigten Ort bauen sie), und das Leben darin – «Cartusia constructa in cellis contemplantur» (Nach dem Bau der Kartause widmen sie sich der Betrachtung Gottes) – wird in den Szenen acht und neun dargestellt, allerdings etwas grossartiger als die ersten Anfänge tatsächlich ausgesehen haben mögen.

125 Das Ittinger Exemplar befindet sich in der Kantonsbibliothek Thurgau, Sign. X 705.