Die sieben ersten Kartäuser
Herstellungsjahr: 17. Jh.
Technik: Ölgemälde
Masse: 71 × 86 cm, mit Rahmen 73,5 × 89 cm
Die Geisteshaltung der Kartäuser spiegelt ein Ölgemälde, das sich heute im Kloster Seedorf, Kanton Uri, befindet, aber aus Ittingen stammen dürfte.135 Es stellt die sieben ersten Kartäuser dar, auf verschiedene Ebenen einer felsigen Landschaft verteilt. Als Anregung zum Bild diente dem unbekannten Künstler ein Stich aus der Serie über das Leben des heiligen Bruno, die der deutsche Stecher Theodor Krüger 1620/21 nach Vorlagen des Italieners Giovanni Lanfranco geschaffen hatte.136 Der Künstler veränderte das Motiv des Stichs insofern, als das Ölbild eine stärkere Ausrichtung auf das Gebetsleben der Kartäuser erhielt. So deuten die unterschiedlichen Körperhaltungen verschiedene, den Kartäusern vertraute Gebetsstufen an. Jedem Mönch ist ausserdem ein kurzer lateinischer Satz in den Mund gelegt, der den Grund seiner Weltflucht bekannt gibt. Damit können sich die Betrachter in die dargestellten Mönche einfühlen und ihre eigenen Gebete daran anschliessen. Das Bild lässt sich gewissermassen als ein programmatisches Leitbild betrachten.
Bei der grössten Gestalt in der Mitte handelt es sich zweifellos um den heiligen Bruno, der durch einen stärker strahlenden Heiligenschein besonders hervorgehoben ist. Er kniet auf dem Boden, breitet leicht die Arme aus und richtet den Blick nach links oben. Dort teilen sich die Wolken und im himmlischen Licht erscheint die Figur der Madonna mit ihrem Kind, umgeben von Puttenköpfchen. Neben Bruno steht der Satz «Communem invoco Matrem» (Ich rufe die gemeinsame Mutter an). Von Maria mit dem Kind gehen zu allen Seiten leuchtende Strahlen aus, die stärksten aber in Richtung Brunos. Damit ist die Verehrung für die Muttergottes und umgekehrt auch ihre Verbindung zu den Kartäusern ausgedrückt.
Im Vordergrund kniet links der zweite Mönch, die Arme betend über der Brust verschränkt. Er betrachtet ein Bild, welches das Jüngste Gericht darstellt, beleuchtet von einer kleinen Öllampe. Sein Spruch nimmt auf das Bild im Bild Bezug: «Judicium praevenio» (Ich komme dem Gericht zuvor).
Rechts vorn sitzt ein Kartäuser am Ufer des Bächleins auf einem Felsen und betrachtet einen Totenschädel in der einen Hand, die andere hat er auf die Brust gelegt. Zu seinen Füssen steht sein Leitsatz «Ne moriar» (Damit ich nicht sterbe). Der Gedanke an den Tod und das Jüngste Gericht spielt in der Spiritualität der Kartäuser eine wichtige Rolle – sie streben danach, den Tod und das Jüngste Gericht nicht zu fürchten.
Dahinter hält ein Mönch ein Kruzifix in der Hand und betrachtet es kniend. Er sagt: «Tantus amor non sit cassus» (So grosse Liebe soll nicht vergeblich sein). Er will sich der Liebe und des Opfers Christi als würdig erweisen.
Noch weiter in den Hintergrund sind die drei letzten Mönche gerückt. Auf einer Anhöhe kniet einer mit entblösstem Oberkörper und geisselt sich den Rücken mit den Worten «Ne reprobus efficiar» (Damit ich nicht verdammt werde). Er will mit der Selbstgeisselung die Strafe vorwegnehmen, um sie nicht nach dem Tod erleiden zu müssen.
Etwas weiter vorn, zur Bildmitte, ist ein Mönch zu bemerken, der mit gefalteten Händen den Blick seitwärts dorthin wendet, wo ein nackter Mensch zwischen zwei Teufeln im Fegefeuer leidet. Der zugehörige Satz lautet: «Ne mortuus descendam» (Damit ich nach dem Tod nicht niedersteige). Der Kartäuser will mit seinem asketischen Leben der Busse und der Gottesliebe die ewige Verdammnis vermeiden.
Der letzte Kartäuser kniet weit hinten, den Blick betend emporgerichtet; sein Spruch lautet: «Sic sordet tellus» (So wird die Erde geringgeachtet). Die Kartäuser haben mit ihrem Eintritt ins Kloster gleichsam die Erde verlassen und sich dem Himmel zugewandt.
Im Hintergrund schwebt über einer Felsenbrücke das Himmlische Jerusalem. Es ist die Stadt des Paradieses, durchströmt vom lebendigen Wasser, das vom Thron Gottes und dem Lamm ausgeht. Das Lamm Gottes schwebt denn auch über der Stadt, und in der Mitte steht der Baum des Lebens, der alle Völker heilt. Neben dem Himmlischen Jerusalem leuchten als Symbol der sieben ersten Kartäuser die legendären sieben Sterne aus dem Traum des heiligen Hugo von Grenoble.
Damit kein Zweifel am Inhalt der Darstellung aufkommen kann, steht in der linken unteren Ecke des Bildes auf einem Stein «Septem primi Maioris Cartusiae incolae» (Die ersten sieben Einwohner der Grossen Kartause). Gegenüber sind auf einem grossen Felsblock die Worte zu lesen, die der heilige Bernhard von Clairvaux in einem Brief an die Kartäuser gerichtet haben soll: «Altissima est professio vestra, Coelos transit, par Angelis est, Angelicae similis puritati: non vovistis omnem sanctitatem sed omnis sa(ncti)tatis perfectionem et omnis consumationis finem. S. Bernardus ad Cartusienses».137 (Eure Berufung ist die höchste; sie durchdringt die Himmel und gleicht jener der Engel und ihrer Reinheit. Ihr habt nicht nur jegliche Heiligkeit, sondern die Vollendung der Heiligkeit und als Ziel die Vollkommenheit gelobt). Der MaIer schrieb «novistis» statt «vovistis», was den Sinn der Worte insofern verändern würde, als die Mönche diese Heiligkeit nicht nur im Gelübde versprochen hätten, sondern gar kennten, das heisst erreicht hätten. Es dürfte sich aber wohl um einen Übertragungsfehler des Künstlers handeln. In den entsprechenden Quellen ist nicht vom erreichten, sondern immer nur vom angestrebten Ziel die Rede.
Während der Stich, der als Vorlage diente, den irdischen Schauplatz des Geschehens schildert – hinten thront auf den Felsen die Grande Chartreuse –, enthält das Ölbild ein geistiges Programm, dessen Ziel der Himmel ist. Die Grosse Kartause ist deshalb hier durch das Himmlische Jerusalem ersetzt worden. Die Kartäuser sind, wie es ihrer Berufung entspricht, mit ihren Gedanken auf das Überirdische ausgerichtet und ins Gebet versunken.
Kartäuser, die das Bild betrachteten, konnten darin wohl weitere Bedeutungsebenen finden, die nicht auf den ersten Blick erkennbar sind. So lassen sich verschiedene Stufen der Annäherung an Gott ablesen: die Betrachtung der biblischen Geschehnisse und die Meditation darüber, die Reue und Busse, das Gebet und schliesslich die Vereinigung mit Gott. Solche Gedanken finden sich vielfach in kartäusischen Schriften und auch in einer Handschrift des Ittinger Mönchs Guigo Engelherr. Aus einer seiner Schriften aus dem Jahr 1621138 tritt sogar ein erstaunlicher Zusammenhang zutage: Die Körperhaltungen beim Gebet, die er empfiehlt, um das Gemüt zu Gott zu erheben, finden sich teilweise auch auf dem Bild.
In der Zelle soll der Mönch beten
– mit erhobenen Armen wie Moses (auf dem Bild hinten rechts)
– kniend wie Salomon bei der Einweihung des Tempels (auf dem Bild links und jener Kartäuser mit dem Kruzifix)
– niedergestreckt wie Jesus am Ölberg (fehlt auf dem Bild)
– zu Füssen Jesu sitzend nach dem Vorbild Maria Magdalenas (auf dem Bild vorne rechts)
– die Arme ausgebreitet wie Christus am Kreuz (Bruno)
– die Augen zu Boden gesenkt wie der Zöllner im Evangelium (auf dem Bild vorn rechts und hinten in der Mitte) Im Konvent aber soll er mit allen anderen Mönchen
– sich verbeugen, um Gott die Sohnesreverenz zu erweisen (auf dem Bild vorne links)
– die Knie beugen, wie es sich vor dem Richter gebühre (mehrere auf dem Bild)
– sich zu Boden werfen im Bewusstsein, Erde zu sein (fehlt auf dem Bild)
– sitzen, wie die Apostel sitzend den Heiligen Geist erwartet hätten (auf dem Bild vorne rechts)
Engelherr sagt, der Betende dürfe auch andere Haltungen einnehmen, so wie er es für die Meditation am angenehmsten empfinde. So konnten die Kartäuser in diesem Bild nicht nur den ersten Angehörigen ihres Ordens begegnen, sondern auch Anregungen für ihre eigenen Gebete entnehmen. Bruno selbst war den Kartäusern ein Vorbild dafür. In einem ihm zugeschriebenen Gedicht139 mahnt er, sie sollten durch Verdienste den Himmel gewinnen und so leben, dass sie die Hölle nicht fürchten müssten, sondern das ewige Heil erwarten dürften.
135 71 × 86 cm, mit Rahmen 73,5 × 89 cm.
136 Die ganze Serie befindet sich in der Bibliothèque nationale de France in Paris. Ein zweites Mal verwendete Benedetto Tromby die gleiche Stichserie 1773–1779 und fügte in seiner Version barocke Umrahmungen hinzu (Faksimile-Ausgabe in Analecta Cartusiana 84, Tomo secondo, Appendices XXIX).
137 Das auf dem BiId angeführte Zitat stammt aus einem Brief, der später einem anderen Verfasser zugeschrieben wurde. Heute glaubt man, der Zisterziensermönch Wilhelm von Saint-Thierry habe ihn geschrieben. Zur Entstehungszeit des Bildes galt das Zitat als eines von Bernhard von Clairvaux.
138 Engelherr, Varia pia miscellanea.
139 Benedetto Tromby, storia critica – chronologica – diplomatica del patriarca s. Brunone, Napoli 1773–1779. Faksimile-Ausgabe in Analecta Cartusiana 84, Tomo secondo, Appendices XXIX.